THE BOXX

Kunst – Musik – Hörbuch

LEVEL 4

Four Princesses

»Ladies, wir sollten mal wieder für ein langes Wochenende nach Ibiza düsen. Dringend! Ich halte diese provinzielle Langeweile nicht länger aus. Was meint ihr, Mädels?« 

Star entreißt Nang ihre Hand, um zum Glas Prosecco zu greifen, das neben all den Fläschchen, Tinkturen und Nagellacken steht. Nang lässt sich ihre Verärgerung nicht anmerken. Sie bleibt freundlich und wartet scheinbar geduldig ab, bis Madame sich dazu herablässt, ihr die zu lackierenden Fingernägel wieder anzuvertrauen. 

»Ach, das wäre ja zu nice!«, ereifert sich Tracy und schießt ein Selfie von sich und ihren drei Freundinnen im Nagelstudio Yum Yum, dem besten vor Ort – das schreiben Star, Lucy, Tracy und Ginger zumindest in ihre Insta-Storys. 

»Nang Nang, Schätzchen, diesmal sollen es die altrosa Gelnägel sein. Verstehst du? Altrosa. Nicht wieder dieses Pink. Das war zu grell.« Für klare Anweisungen ist Star geboren. Sie weiß sich durchzusetzen. 

»Ja, ich verstehe«, erwidert Nang und lächelt gezwungen. Sie wünschte, die vier Frauen, die mehr Klischee sind als man sich ausdenken kann, hätten bereits allesamt ihre glänzenden Lackkrallen auf den Nägeln und würden den Laden verlassen. Am besten für immer. Nicht mehr lange, dann schmeißt sie alles hin, dann ist sie endgültig raus aus der Nagelstudio-Nummer. 

Aufmunternd zwinkert sie ihren drei Kolleginnen zu, die sich an den Nägeln von Stars Groupies zu schaffen machen. Da ist eine aparter als die andere. Ginger, die kräftige Blondine, ist besonders durstig, meistens heimlich. Nang kann sie nichts vormachen, sie sieht es an Gingers rot geäderten Augen, die nicht mal mehr mit Augentropfen zum künstlichen Strahlen gebracht werden können. Außerdem zückt sie jedes Mal, wenn ihre Kollegin den Raum verlässt, um Wattebäuschchen oder anderen Schnickschnack aus dem Lager zu holen, ihren Flachmann und genehmigt sich einen großen Schluck. Tracy dagegen, die Dürre mit den Rehaugen, kann es nicht lassen, großspurig davon zu erzählen, wie viele Kilos sie wieder gelassen hat. »By not eating«, wie sie zum wiederholten Male betont. Gerne erzählt sie in Anwesenheit von Ginger davon, die offensichtlich mit ihren Pfunden zu kämpfen hat. Sie wiege jetzt nur noch »five times« so viel wie ihr Mops Baby Lou. Dabei sei Baby Lou in den letzten Monaten deutlich schlanker geworden, das läge am veganen Futter, das ihr kleiner Lou Lou seit neuestem bekäme … und so weiter und so weiter. Tracys Hang zu verwegenen Anglizismen erregt Nangs Mitleid, doch Mitleid ist eigentlich das Letzte, was sie für die vier Diven empfinden möchte. Tja, und Lucy sagt zu allem nur Ja und Amen. Die Frau ist eine eifrige Mitläuferin, die allen gefallen möchte, nur sich selbst scheint sie nicht ernst zu nehmen. Wenn Star altrosa Gelnägel will, will Lucy auch welche. Wenn Tracy Fotos für Instagram schießt, dann macht sie das auch. Wenn Ginger säuft, säuft sie mit. Lucy hat kein Rückgrat … Das dachte Nang zumindest bis zu diesem Tag. 

»Also, ich fliege nicht mehr«, sagt Lucy unvermittelt in die Runde.

Schockstarre. Alle blicken sie entsetzt an. Nang und ihre Kolleginnen haben aufgehört zu feilen und schauen zu der sonst so folgsamen Lucy. 

«Wie bitte?!«, bemerkt Star auf ihre unnachahmlich schnippische Art. »Du fliegst nicht mehr?« 

Ginger nimmt noch einen semi-heimlichen Schluck aus dem Flachmann. 

»Nein. Das ist nicht gut für die Umwelt. Wisst ihr eigentlich, wie viele Tonnen Schadstoffe die Flugzeuge weltweit …« 

»Since when interessierst du dich für Schadstoffe? Was meinst du, wie viele Schadstoffe du on your beautiful face trägst, bei der dicken Make-up-Schicht, die du dir jeden Tag auf deine zarte Haut schmierst«, unterbricht Tracy ihre Freundin. 

Verwirrung liegt in der Luft. 

»Das liegt doch nur an deinem neuen Freund, diesem Bio-Hipster. Daran ist doch nur dieser bescheuerte Hippie schuld!«, heult Ginger. »Ich will nach Ibiza!« 

Aber Lucy bleibt dabei: »Ibiza, meinetwegen, aber nicht mit dem Flugzeug. Basta!«

Star schüttelt verächtlich den Kopf. »Da haben wir wohl was verpasst. Seit wann bist du denn so zwanghaft schadstoffreduziert unterwegs?«

»Ich habe ein bisschen was gelesen«, entgegnet Lucy, woraufhin Nang anerkennend die Augenbrauen hochzieht. 

»Dabei tun wir doch schon so viel für die Umwelt«, versucht es Ginger noch einmal auf die sanfte Tour, bevor Star die arme Lucy gleich zusammenfaltet. Origami ist nichts gegen die Wutanfälle der First Lady. »Ich meine, wir benutzen doch inzwischen wiederverwendbare To-Go-Becher aus Pappe. Die kommen auch auf Insta total gut an. Wir bestellen pro Paket nur noch ein Paar Schuhe. Davon profitiert auch der Paketbote. Dann muss er nicht mehr so schwer schleppen. Und manchmal kaufen wir den tierversuchsfreien Lipgloss. Schau mal, sogar Baby Lou leistet seinen Beitrag und frisst jetzt fleischlos. Ist das nicht nice?«

Lucy presst ihre Lippen fest zusammen, zeigt sich kämpferisch. »Das reicht nicht«, sagt sie und begutachtet ihre altrosa Gelnägel, die noch dringend an den Kanten glattgefeilt werden müssen. »Außerdem will ich nicht mehr Lucy heißen. Es hat sich ausgelucyt. Ich heiße wieder Merle, wie früher. Ich habe keinen Bock mehr auf meinen Insta-Charakter.« 

»Kindchen, du verlierst gerade deine Personality«, mahnt Tracy, die im echten Leben Swantje heißt, aber das war Tracy zu trivial, zu sehr deutsche Kartoffel. Sie macht noch schnell ein Foto für Insta und stellt es mit Sternenstaubeffekt in ihre Story, bevor der große Sturm über sie alle hereinbricht. 

Star läuft puterrot an, holt gerade tief Luft, um ihren ersten rabiaten Angriff gegen Merle zu führen – da bimmelt die Ladenglocke ihr dröges Klimbim. Alle Frauen blicken zur Tür. Hereinspaziert kommt Daisy Paloma, die angesagteste Influencerin der westlichen Hemisphäre seit Menschen andere Menschen virtuell dabei beobachten, wie sie sich vor dem Eiffelturm, den Niagarafällen oder auf der Chinesischen Mauer räkeln. 

»Nang, Liebes! Wie schön, dich zu sehen. Sag mal, hast du nächste Woche Zeit für mich?« 

»Ey, das ist Daisy Paloma …«, haucht Ginger und vergisst sogar, sich einen zu genehmigen. Nur Star und Tracy greifen zum Prosecco, Merle schaut weiterhin trotzig vor sich hin. 

Daisy schüttelt ihr Haar und erzeugt damit einen kleinen Tornado in den Gemütern der four Princesses.

»Nang, ich denke, es ist Zeit für radikalere Schritte. Nächste Woche wird der Flughafen Willys Strand besetzt. Die Vorbereitungen laufen schon. Wir beide werden das Ganze koordinieren. Wie das letzte Mal, du weißt schon, meine kleine Diana Prince …« Und an die four Princesses gewandt: »Kein Wort zu niemandem!« 

Ginger, Tracy und Star nicken gehorsam, während Merle anerkennend beide Like-Daumen in die Höhe reckt. Dann rauscht Daisy Paloma so imposant, wie sie den Laden betreten hat, wieder hinaus und hinterlässt einen Haufen durcheinandergewirbelter Ideale.

»Na, macht ihr mit?«, fragt Nang beiläufig und feilt derweil an Stars altrosa Gelnägeln herum. Nicht mehr lange, dann schmeißt sie alles hin, dann ist sie raus aus der Nagelstudio-Nummer.


Freaky crazy ladies

I’m standing on my seat
Waiting for this song to come
All bells up in the towers
All bees close to the flowers

Once we layed you in a bed of roses
Offered you a bath in the Well of Moses
Now we burry you by the daisies
You freaky crazy ladies

I’ll tattoo your silhouettes
On my back and spine
Close to my legs
If style were all
You won’t be mine
All bells up in the towers
All bees close to the flowers


Made by

Song: beatbar
Songwriting: Stef Awramoff
Mix & Mastering: Eric Limberg

Text: Katja Merx
Sprecherin: Jule Löffler, Mila Schulz, Paya Chatten, Lola Merx, Jule Merx, Paula Merx, Katja Merx

Collage: Stefan Heuer

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