THE BOXX

Kunst – Musik – Hörbuch

LEVEL 7

Seven Seas

Schweißperlen bilden sich auf meiner Oberlippe. Die Sonne steht senkrecht über mir. Ich liege einfach so da, Arme und Beine weit von mir gestreckt. Ich schmelze dahin. Man könnte sagen vor Glück, denn diesen Urlaub habe ich mir mehr als verdient. 60-Stunden-Wochen machen krank. Trotzdem kann ich nicht davon lassen. Ich brauche den Kick, wenn sich nach zähen, harten Verhandlungen der schnelle Erfolg einstellt. Dann rauscht das Adrenalin durch meinen Körper, ein leichter Schwindel in meinem Kopf. Es ist ein bisschen wie Achterbahn fahren. Selbst wenn mir übel wird, kann ich nicht aussteigen. Zu groß ist der Ehrgeiz, der Wille, es durchzuziehen, denn am Ende wartet die Belohnung. Meistens viel Geld, Schulterklopfen, auch wenn das nicht immer aus Respekt geschieht. Selbst Neider wollen sich gut mit mir stellen. Beim nächsten Match könnten sie davon profitieren und als Sieger aus dem meist unfairen Kampf hervorgehen. 

Die Welt im Hier und Jetzt sieht anders aus. Während ich in der Sonne glühe, rauscht im Hintergrund das Meer. Ein vertrauter Rhythmus. Kinder kreischen aus purer Lebenslust, rennen ins Wasser und wieder heraus, spritzen sich gegenseitig nass und lachen so schrill, dass höchste Frequenzen an meinem Trommelfell kratzen. Doch das macht mir nichts aus. Nicht heute. Ich liege im Sand, die Augen geschlossen und lausche dem Rauschen, Quietschen und Geschnatter. Nicht mal die Fuhre Sand, die mir der kleine Junge mit der roten Schaufel versehentlich ins Gesicht schmeißt, bringt mich aus der Fassung. Heute bin ich die Ruhe selbst. Ich vermisse nicht mal das Adrenalin. 

Bevor mich die Sonne vollends verbrennt, springe ich zur Abkühlung ins Meer. Der Ozean erstreckt sich vor mir in seiner ganzen blau-grünen Pracht. Ein paar Züge unter Wasser, bis meine Lungen sich daran erinnern, mit Sauerstoff gefüttert werden zu wollen. Die Kühle des Meeres befreit mich aus dem Dämmerzustand, in den mich die Hitze der Sonne gebracht hat. 

Wieder aufgetaucht, schüttele ich meinen Kopf, um den letzten Rest Schläfrigkeit aus meinem Kopf zu vertreiben. Ich habe keine Angst vor dem Ozean. Nicht vor Quallen oder anderem Meeresgetier, nicht mal vorm Weißen Hai. Auch hohe Wellen können mir nichts anhaben. Gewinner kennen keine Furcht, ich weiß mir schon zu helfen, wenn die See ihr raues Gesicht zeigt. Also schwimme ich mit langen, kräftigen Zügen hinaus aufs Meer. 

Wenn ich zurückblicke, werden die Menschen am Strand immer kleiner. Kleine Spielfiguren im Sand, dahinter Palmen und anderes Gestrüpp, das nach und nach zu einem großflächigen Grün verschwimmt. Eine Welle erwischt mich, taucht mich kurz unter Wasser. Ich verschlucke mich, huste, habe die Situation aber augenblicklich wieder unter Kontrolle. 

»Ich habe keine Angst vor dem Ozean.« Beschwörend wiederhole ich diese Formel, murmele sie in mich hinein. Wie ein Mantra, um mich zu beruhigen. 

Ohne zu wissen, wie mir geschieht, umgibt mich mit einem Mal ein Meer aus Plastik. Pillepalle aus Kunststoff, in Einzelteile zerlegt und schillernd in allen erdenklichen Farben, glitzernd im Sonnenlicht. Ich ärgere mich über den Schmutz im türkisblauen Wasser, der hier genauso wenig zu suchen hat wie … wie … wie Klaus Kinski in einem Kinderfilm. Kinski! Ha! Doch dann entdecke ich einen eingerissenen Flip Flop, dunkelblau mit einem weißen maritimen Muster. Das gleiche Modell habe ich im letzten Sommer getragen. Könnte meiner sein, denke ich noch belustigt, während die Badelatsche träge an mir vorbeischwimmt. 

Der Teppich aus Plastik wird zunehmend dichter. Tüten wabern durch das unruhige Meer, blaue Plastikdeckel, die sonst auf Trinkwasserflaschen thronen, tanzen dichtgedrängt auf der Wasseroberfläche. Ich bahne mir einen Weg durch leere Dosen, Schalen und Flaschen. Aus Pillepalle wird ein engmaschiges synthetisches Geflecht. Meine Arme werden zu Macheten, die das Dickicht vor mir zu durchschneiden versuchen. Meine Beine halten mich mit aller Macht über Wasser. Einen Ausweg sehe ich nicht, ich bin umringt, eingeschlossen. 

»Ich habe keine Angst vor dem Ozean«, sage ich laut. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob das stimmt. Ja, ich bin ein Macher, ich nehme die Dinge in die Hand, ich treffe unbequeme Entscheidungen, die ihre Opfer fordern, doch über das hier, über die künstlichen Verschlingungen und Verknotungen, verliere ich so langsam die Kontrolle. Ich bin machtlos – und ich hasse es. 

Bevor ich es sehe, spüre ich ein leichtes Kitzeln an meinem Fuß. Irgendetwas streift mein Bein, wickelt sich um meine Wade, um beide Waden. Hektisch versuche ich, mich zu befreien. Vergeblich. Und dann wird mir klar, worin ich mich gerade verfange. Ein riesiges grünes, mit Algen besetztes Fischernetz taucht vor mir auf. Meine Hände zerren daran, doch je mehr ich ziehe und drücke und reiße, desto enger legt es sich um mich, beinah sanft, anschmiegsam. 

Ich habe keine Angst vor dem Ozean. 

Ich habe keine Angst vor dem Ozean. 

Ich habe … Angst.


Pinot

All down my back
All is dressed in black
Tonight I’m blind
I’m not that kind
Just deep down inside – I hide

Pinot in a plastic cup
Another pizza in a paperbox
Drive my car along the traffic jam
I have a party as long as I can

All down my spine
All is dressed in red
Days pass by
Like a sad affair
Who cares? 

Et dans l’océan 
Une mer de plastique
Chatoyante 
Alors, à la tienne!


Made by

Song: beatbar
Songwriting: Stef Awramoff
Mix & Mastering: Eric Limberg

Text: Katja Merx
Sprecherin: Katja Merx

Collage: Stefan Heuer

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